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Die zwei Neuen im Prater

Pratergeschichte

Die zwei Neuen im Prater

Vielleicht sind sie dir schon aufgefallen, die Straßennamen im Wurstelprater. Viele davon sind Prater-Urgesteinen und Wegbereiter*innen gewidmet, die den Wurstelprater durch ihre Arbeit und ihr Sein auf unterschiedliche Art und Weise geprägt haben. Vergangenen Montag am 16.5.2022 sind zwei neue Straßennamen dazugekommen: der Schaafweg und der Nikolai-Kobelkoff-Weg.

Eine feierliche Enthüllung

“Für solche Momente lohnt es sich zu leben”, freut sich Liselotte Lang, die 94-jährige Urenkelin von August Schaaf und Nikolai Kobelkoff. Zur Feier des Tages schauten auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und Kulturstadträtin Veronica KaupHasler vorbei, die tatkräftig bei der Enthüllung mithalfen und viele schöne Worte für den Wurstelprater und seine Legenden mitbrachten.

“Die Praterbetriebe mit ihren immer wieder neuen Attraktionen halten den Prater lebendig. Bis heute ist der Wurstelprater im Besitz von Unternehmen, die auf eine lange Familiengeschichte zurückblicken können. Ich freue mich sehr, dass mit den neu benannten Wegen die Verdienste der Familien Schaaf und Kobelkoff gewürdigt werden“, so Bürgermeister Ludwig.

Die Familien Schaaf und Kobelkoff waren als Praterdynastien innovativ, technisch am neuesten Stand und haben mit ihren Errungenschaften neue Perspektiven ermöglicht.

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Für Kulturstadträtin Kaup-Hasler sind und waren “die Pratergeschäfte und das Treiben im Wurstelprater […] eine reiche Inspirationsquelle für die Kunst, insbesondere für die Musik und Literatur. Der Prater als magischer Ort hat sich auf diese Weise in die Stadtgeschichte eingeschrieben.” Unter den Gratulant*innen waren unter anderem auch Georg Fraberger, Psychologe und Autor, Wien Museum-Direktor Matti Bunzl, Bezirksvorsteher Alexander Nikolai, Präsident des Wiener Praterverbandes Stefan Sittler-Koidl, Michael Prohaska und Alexander Ruthner von der Prater Wien GmbH und der Praterheinzi.

Die Praterdynastien

Silvia Lang war die treibende Kraft hinter der Benennung der beiden Wege – sie ist die Tochter von Liselotte Lang und die Ururenkelin von August Schaaf und Nikolai Kobelkoff. Da sich ein Großteil ihres Lebens in und um den Wurstelprater abspielt, ist der Prater für sie nicht nur Geschäft, sondern auch Familiengeschichte, Kontinuität und Tradition. Auch aus dieser Motivation betreibt sie die detailverliebte Website praterdynastien.at, die sich der Geschichte der zwei großen Praterfamilien widmet.

Wenn du dich so richtig in die Geschichten der Familien Schaaf und Kobelkoff vertiefen möchtest und auch einen Faible für alte Pläne und Postkarten hast, empfehlen wir dir unbedingt einen Besuch ihrer Website! Hier etwa findest du auch einen übersichtlichen Stammbaum der beiden Familien.

Einen kurzen Einblick in das Leben der beiden Herren und was sie mit dem Wurstelprater verbindet, haben wir untenstehend für dich.

 

August Schaaf

Johann Friedrich August Schaaf wurde 1821 in Leipzig-Reudnitz (Deutschland) geboren. Bei seiner täglichen Arbeit im Familienbetrieb – einer Samengärtnerei – lernte August einen alten Mann kennen, der mit seinem Kasperltheater von Ort zu Ort zog. Zwischen den zwei so unterschiedlichen Männern entwickelte sich eine Freundschaft und aus Spaß übernahm der junge August auch immer wieder die Rolle des Puppenspielers. Dafür erntete er großen Beifall und aus Jux wurde Begeisterung – August entschloss sich Schausteller zu werden. Schnell wurde aus einem reinen Kasperltheater eine Menagerie mit seltenen Tieren.

Nach vielen Jahren des Herumreisens, ließen sich August, seine erste Frau Hermine und ihre beiden Söhne Carl und Leopold 1865 im Wiener Prater nieder. Ein Jahr später erwarb er ein Panoptikum mit aus Gips hergestellten Figuren. Schon bald zeigte August in seinem Panoptikum auch lebende Abnormitäten, unter anderem das bekannte Riesenkind Emilie Folke, den damals weltberühmten schwedischen Riesen Emanuel Andersen sowie 1875 auch einen Mann namens Nikolai Kobelkoff. So wurde aus August der “König der Bankisten” (Inhaber von Schaugeschäften wurden damals Bankisten genannt).

Im Laufe der Jahre vergrößerte sich der Familienbetrieb der Schaafs um diverse Ballwurfspiele, Schießstätten und 1877 durch die erste Schlagmaschine. 1885 verstarb August an einem Gehirnschlag. Wie sein Sohn Carl Schaaf die Familientradition weiterführte, kannst du hier weiterverfolgen.

Nikolai Kobelkoff

Nikolai Wassiljewitsch Kobelkoff wurde 1851 in Wosnessensk (Russland) geboren. Die Überraschung der Eltern war groß, als Nikolai gänzlich ausgebildet jedoch ohne Gliedmaßen zur Welt kam. Obwohl Nikolai keine Beine hatte, überraschte er seine Familie damit, dass er im Alter von zwei Jahren auf seinen Beinstumpfen zu Laufen begann – seine Geschicklichkeit wuchs mit den Jahren ungemein weiter. Er lernte mit Hilfe seines rechten Armstumpfs zu trinken, sich anzukleiden und in Folge auch zu Schreiben. Mit 18 Jahren arbeitete er in den Goldminen von Balbuck als Beamter und widmete sich den Lohnlisten und Rechnungsbüchern.

1870 wurde Nikolai auf einem Jahrmarkt von einem bekannten Theaterdirektor angesprochen, der ihn für seine Schaubühne engagieren wollte. Dies war der Startschuss für Nikolais Reisen quer durch Russland und Europa, die ihn auch nach Wien in den Wurstelprater und ins Panoptikum von August Schaaf führten. Im Prater verliebte er sich in Anna Wilfert, die Tochter einer weiteren, berühmten Schaustellerfamilie – die beiden heirateten im Jahr 1876 und reisten weiterhin quer durch Europa.

1901 kaufte Nikolai das damalige Grundstück Prater 117, auf dem der erste Toboggan und daneben das Velodrom – später durch die Manège Parisienne ersetzt – errichtet wurden. Viele Jahre später erwarb er auch das Grundstück, auf dem das Karussell Zum großen Chineser (aka Calafati) stand. Als seine geliebte Ehefrau Anna im Jahr 1912 starb, beendete Nikolai seine Reisen und zog sich in sein Haus hinter dem Toboggan und der Manège Parisienne zurück.

Nikolai starb 1933 an Altersschwäche im Prater. Bis ins hohe Alter war er im Familienbetrieb tätig geblieben. Ob und wie seine Kinder das Erbe weiterführten, erfährst du hier.

 

Fotocredits: Hannes Hochmuth, Praterdynastien.at